Abfahrt aus Dutch Harbor, Alaska.    

„Ein neuer Lebensraum“ – für 6 Wochen

Tag 25 auf der AleutBio Expedition. Es ist 6:30 Uhr. Der Wecker klingelt, um 7 Uhr gibt es Frühstück. Schnell noch das Stäbchen in die Nase, 15 min später: Negativ.
Das Schiff, das FS Sonne, schaukelt gemütlich hin und her.

Wer jetzt einen Blogbeitrag mit Begriffen wie Isopoda, Polychaeten und so weiter erwartet, sollte vielleicht lieber auf den nächsten Beitrag warten. Denn selbst nach 3 Wochen an Bord, kann ich mir diese ganzen Fachbegriffe einfach nicht merken.
Mein Name ist Pablo. Ich bin selbstständiger Kameramann aus Berlin.
Im Februar 2022 wurde ich von einer Produktionsfirma angefragt eine Dokumentation für das ZDF über diese Expedition zu drehen. Das aktuelle Weltgeschehen änderte noch einige Faktoren. Letztendlich ging es aber dann im Juli los. Nicht von Russland wie ursprünglich geplant. Doch genau so kalt. Vom Hochsommer in Berlin ins 10 Grad kalte Dutch Harbor, Alaska.
Noch nie war ich zuvor auf einer Expedition, geschweige denn so lange auf einem Schiff. Hier an Bord habe ich eine Einzelkammer, mitsamt eigener Nasszelle (Toilette, Dusche). Diese musste ich auch exzessiv die ersten Tage nutzen, Seekrank. Erfahrung, check.

Wir befinden uns über dem Aleutengraben. Ein Tiefseegraben im Pazifik, der sich von Russland über 3000 km bis in den Golf von Alaska erstreckt. Bis zu fast 8000 m tief. Kein Sonnenlicht schafft es jemals so weit nach unten. Man könnte meinen da unten kann nichts leben. Faszinierender Weise aber schaffen es unter dem abartigen Druck von bis zu 700 bar (bei ca. 7.000 m Wassertiefe), Dunkelheit und Kälte viele verschiedene Lebewesen, in dieser für uns unbekannten Welt, zu leben. Die meisten davon sind nur wenige Millimeter groß. Entsprechend schwierig ist es diese zu Filmen.

Bei weiteren Beschreibungen oder Fragen zu Lebensformen, Forschungsfragen etc. lesen Sie bitte die anderen Blogbeiträge, fragen ihren Fachspezialisten oder sehen Sie sich die Dokumentation an, die voraussichtlich im Februar 2023 zu sehen ist.

Das Schiff ist 118 m lang und 20 m breit. Auf dieser kleinen Fläche sind jedoch für über 75 Menschen Unterkünfte, Vorräte für mehr als 6 Wochen Fahrt, 550 qm Laborfläche, ein großes Außenarbeitsdeck, ich weiß nicht wie viele Kräne, Seilwinden mit bis zu 12 km langen Stahlseilen, Krankenstation, Sauna, Fitnessraum, Bibliothek, Lounge und eigentlich alles was man so braucht, untergebracht. Einzig fehlt mir noch ein kleiner Park, wo man ein wenig spazieren gehen kann.

Man schläft, arbeitet und lebt hier auf engstem Raum und doch hat man genug Platz um mal ein wenig Ruhe für sich genießen zu können. Das wirklich Faszinierende, neben den ganzen Polychaeten und wie sie sonst so heißen, ist für mich die wunderbare Mischung der verschiedenen „Spezies“ an Bord. Jung und Älter. Student:in (hiermit gegendert für folgende), Doktorand, Fahrtleitung, Kapitän, Offizier, Hiwi, Koch, Steward, Maschinenpersonal, Doktor und viele mehr. Alle sind in ihrem Fachgebiet Spezialisten und Nerds, aber niemand wird hier schief angeschaut, wenn sie oder er sich mal nicht im Fachgebiet des Anderen auskennt. Es ist ein Zusammenkommen verschiedenster Menschen mit den verschiedensten Angewohnheiten, Tagesrythmen und Interessen. Für eine kurze Zeit von knapp 6 Wochen ist dieses Schiff ein Zuhause für uns alle. Die Außenwelt weit entfernt. Das Schiff, so „klein“ es auch sein mag, ein vielfältiger Lebensraum für uns Menschen, die versuchen zu verstehen was am Meeresgrund unter uns passiert und lebt.

Soweit erstmal zu einem etwas unwissenschaftlicherem Einblick. Ich, m, 30, auch Nerd, ziehe jetzt wieder mit meiner FX6 Kamera, 40 mm Objektiv f 1.4, Sachtler Flowtech Stativ und MKH 416 Mikrofon los und suche mir ein paar Kleinstlebewesen und Fachnerds, die, im an Deck gezogenen Meeresbodenschlamm wühlen.

Vielleicht mache ich ja auch noch bei einer der Schlammschlachten mit und rüttele das Sieb. Ganz vielleicht entdecke ich ja eine neue Art. Ich würde sie dann „Isopoda Iter Camera Viri“ nennen.

 

Pablo Gollmer Hidalgo

Drohnefoto FS Sonne.  
Ein Nerd wühlt im Schlamm.
Sortieren der Proben.
Seltener (sichtbarer) Sonnenuntergang
Vielleicht doch nicht so selten?