Abbildung 1. Xenophyophore, die vorläufig der Gattung Syringammina zugeordnet wird und die der am häufigsten vorkommende große Organismus an Station 1 in der Beringsee war. Das Exemplar ist mehrere Zentimeter groß.    

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Mein Name ist Andrew Gooday und ich bin Meeresbiologe im Ruhestand und arbeite für das National Oceanography Centre in Southampton, U.K.. Eigentlich sollte ich im Ruhestand zu Hause im Garten sitzen und den Sommer genießen, aber hier bin ich im nördlichen Nordpazifik auf dem Forschungsschiff Sonne und nehme an meiner ersten ozeanographischen Expedition seit 7 Jahren teil.

Ich beschäftige mich mit Foraminiferen, einer erstaunlich erfolgreichen Gruppe von Einzellern (Protozoen oder ‚Protisten‘), die vor allem aus dem Meer bekannt sind, aber auch in Süßwasser und auf feuchten Böden vorkommen. Die meisten Arten sind benthisch, einige aber auch planktonisch. Der Zellkörper ist von einer schützenden Schale oder Hülle umgeben, die aus organischem Material, aus vom Organismus ausgeschiedenem Kalziumkarbonat (Abb. 2) oder aus Partikeln (in der Regel Mineralkörner oder kleinere Schalen) besteht, die vom Meeresboden aufgelesen und mit einem ausgeschiedenen „Zement“ zusammengeklebt („agglutiniert“) wurden (Abb. 1, 3-5).
Kalkhaltige Foraminiferen  (mit „Schalen“) sind hervorragend als Fossilen nachzuweisen und werden von Geologen häufig untersucht, während agglutinierende Arten, die nur ihre Zellaußenwände mit den Meeresbodenpartikel zum Schutz bekleben, als Fossilien weniger häufig vorkommen und daher weniger bekannt sind. Viele agglutinierende Arten wählen bestimmte Arten von Partikeln aus (z. B. Schwammspicula; Abb. 3). Wie diese scheinbar einfachen Zellen dies bewerkstelligen können, ist seit langem eine Quelle der Verwunderung. Charles Darwin schrieb 1872 in einem Brief: „Der Fall der drei Arten von Protozoen (ich habe die Namen vergessen), die anscheinend unterschiedlich große Sandkörner usw. auswählen, ist fast die wunderbarste Tatsache, von der ich je gehört habe. Man kann nicht glauben, dass sie über genügend mentale Kraft verfügen, um dies zu tun, und wie irgendeine Struktur oder eine Art von Viskosität zu diesem Ergebnis führen kann, übersteigt jedes Verständnis.“ Das Rätsel bleibt bestehen, aber diese bemerkenswerte Fähigkeit erinnert uns daran, dass Foraminiferen hochentwickelte Organismen sind und weit davon entfernt, „einfache Zellen“ zu sein. Der Hauptschlüssel zu ihrem Erfolg ist wahrscheinlich ihr einzigartiges, komplexes und hochaktives Netzwerk von Pseudopodien, das an vielen Lebensprozessen beteiligt ist, einschließlich des Schalenbaus.

Foraminiferen sind in der Tiefsee sehr zahlreich und äußerst vielfältig, vor allem in den abyssalen und hadalen Tiefen, in denen wir arbeiten (3.500 – 7.200 m). Sie reichen von winzigen Kugeln und Kolben mit einem Durchmesser von einem Zehntel Millimeter oder weniger, bis hin zu Röhren von mehreren Zentimetern Länge und Xenophyophoren, die eine Größe von 10 cm und mehr erreichen können. Viele der kalkhaltigen Arten sind bereits beschrieben, aber die agglutinierten Formen, insbesondere die aus einer einzigen Kammer bestehenden (die Monothalamiden), sind für die Wissenschaft neu. Während dieser Reise haben wir uns vor allem auf diese letztere Gruppe konzentriert und eine Liste neuer Arten zusammengestellt, die beschrieben werden können. Eine davon ist eine kleine, kugelförmige Monothalamide mit organischen Wänden, der einzige Organismus, der in den Proben, die in der Achse des Grabens in großen Tiefen (>7000 m) genommen wurden, reichlich vorkam. Andere Monothalamiden, die informell als Saccamminiden bezeichnet werden, haben flaschenförmige Tests (Gehäuse) (Abb. 4). Ich interessiere mich auch für Foraminiferen am oberen Ende des Größenspektrums, insbesondere für die Xenophyophoren (die „Protistan-Megafauna“). Trotz ihrer komplexen Testmorphologie und ihrer Größe sind die Xenophyophoren eigentlich eine weitere Gruppe von Monothalamiden. Auf den OFOS-Videobildern vom Meeresboden sahen wir oft viele von ihnen. Eine Art war an den Probenahmestationen in der Beringsee sehr häufig anzutreffen, wo wir einige Exemplare sammelten, die die Grundlage für eine Artbeschreibung bilden werden (Abb. 1). Die Oberflächen vieler abyssaler Kernproben waren mit großen, verklumpten Röhren übersät (Abb. 5), von denen sich viele als verklumpte Foraminiferen erwiesen. Die am häufigsten vorkommenden Foraminiferen ähnelten Hyperammina crassatina und waren extrem brüchig und fielen bei Berührung mit einer Nadel auseinander. Der vom Zytoplasma eingenommene Innenraum in diesen Röhren ist viel kleiner als der Außendurchmesser, so dass ihre Biomasse recht gering sein muss. Warum sich eine relativ kleine Zelle die Mühe macht, einen so großen Tests zu bauen, ist unklar. Dies sind nur einige der Highlights der vielen interessanten Arten, die wir gesammelt haben.

Nach einer Pause von 7 Jahren wieder auf See zu sein, ist eine etwas seltsame, aber auch sehr vertraute Erfahrung. Wissenschaftliche Expeditionen sind harte Arbeit, aber sehr lohnend. Nach vielen Jahren auf See finde ich immer noch erstaunliche Foraminiferen, die mit nichts vergleichbar sind, was ich bisher gesehen habe. Diese Expedition ist eine wertvolle Erinnerung daran, dass es immer noch sehr viel über die Artenvielfalt des Lebens in der Tiefsee zu lernen gibt. Da sich die Ozeane erwärmen, wird es immer dringender, grundlegende Informationen über die Lebewesen, sowohl Protozoen als auch Tiere, die auf und unter dem Meeresboden leben, zu sammeln.

Abbildung 2. Kalkhaltige Arten (Rotaliida) von Station 8.  
Abbildung 3. Agglutinierte Artenvon Station 7, die der Gattung Technitella ähnelt und Schwammnadeln und Quarzkörner für den Test- (Gehäuse-)bau auswählt.
Abbildung 4. Weißer Saccamminid, ein agglutinierender Monothalamid von Station 8.
Abbildung 5. Große verklumpte Röhren, die Hyperammina crassatina ähneln. Auf der Oberfläche einer Probe aus dem Großkastengreifer von Station 10. Die Röhren sind mehrere Zentimeter lang.
Abbildung 6. Wer mag es sein?