Längsgang im Schiff bei Nacht.    

Und wieder eine Nachtschicht

Mein Handy brummt. Es ist 01:00 Uhr, mitten in der Nacht. Ich mach mal die Augen auf. Kein bisschen Licht kommt durch die Bullaugen. Raus aus dem Bett, duschen, anziehen. Lange geschlafen hab ich nicht, einige Stunden oder so. Guten Morgen.

Das Wetter scheint gut zu sein. Das Schiff rollt nur ganz leicht und stampft nicht. Folglich kann es nachher einen schönen Sonnenaufgang geben. Mal abwarten. Mein erster Weg geht immer rauf zum Hangar und dem Arbeitsdeck. Die Gänge sind leer. Hinten im Nasslabor wird sortiert, fotografiert, etikettiert und dokumentiert. Es wird 24/7 gearbeitet, irgendwo ist immer jemand.
Im Hangar (Hangar, weil der Raum zwei Decks hoch ist und recht groß. Flugzeuge passen hier trotzdem nicht rein) sitzt Thomas. Er hat Wache. Mein erster Blick fällt auf die Windenanzeige. Wird die Zahl größer dann geht das Gerät runter, wird sie kleiner, kommt das Gerät zurück. 3.832 m und zunehmend. Thomas bestätigt: der MUC ist auf dem Weg nach unten. Wir sind im Zeitplan, ca. um 04:00 Uhr geht mein Gerät ins Wasser. Ich hol mir mal einen Kaffee.

Zusammen mit meinem Freund – dem Kaffee –  gehe ich in mein Labor. Ich muss alles Notwendige für den EBS Einsatz vorbereiten. Also PC’s hochfahren, Batterieladungen überprüfen, Sonden programmieren und die notwendigen Berechnungen für den Einsatz machen. Heute Nacht ist es Epibenthosschlitteneinsatz Nr. 22.

Ich bin hier an Bord des FS Sonne verantwortlicher Geräteeinsatzleiter für den Einsatz und die Technik des Epibenthosschlittens, kurz EBS. Der Name kommt von „Epi“ aus dem griechischen für auf / obendrauf, „Benthos“ ist die Lebensgemeinschaft der Meeresböden und Schlitten, weil das Gerät über den Boden gezogen wird. Mit dem EBS fangen wir Tiere, die direkt auf dem Meeresboden leben. Der Schlitten wiegt rund 500 kg, ist mit Kabelgeschirr 5 m lang. Er hat zwei feine, horizontale Netze mit einer Maschenweite von einem halben Millimeter. Er ist so gebaut, dass die Netze in der Wassersäule verschlossen sind und sich erst am Meeresboden öffnen. So wird sichergestellt, dass wir nur Tiere vom Meeresboden einsammeln. Von allen wird der EBS nur einfach „die Blechdose“ genannt.

Heute ist das Einsatzgebiet 7.200 m tief. Meine Kalkulationen ergeben eine erforderliche Kabellänge von 9.300 m, das Schiff hat einen Anfahrtsweg von 3,25 Seemeilen (sm), der Einsatz dauert rund 8,5 Stunden.
Ich hab mir schon vorher bei Anne und Kevin in der Bathymetrie angesehen, wie der Meeresboden hier in der Region beschaffen ist. Ob es Gräben, Rücken oder sogar kleine Seeberge gibt, die ich mit dem Schlitten nicht überfahren sollte. Es besteht immer die Gefahr, dass der EBS sich irgendwo zwischen Felsen festklemmt und verloren geht. Aber hier gibt es keine Probleme. Der Meeresboden ist drei Seemeilen in jede Richtung glatt und unproblematisch.

Es ist kurz nach 03:00 Uhr und ich geh mit meinen Zahlen hoch auf die Bücke. Mit dem verantwortlichen Offizier spreche ich ab, wo ich schleppen will.
Zum einen wollen wir den EBS in einem vorher mit allen Wissenschaftlern abgesprochenen Areal absetzen, dafür die Berechnungen, zum anderen müssen wir berücksichtigen welche Schlepprichtung von Wind, Wellen und Strömung zugelassen wird. Wir haben nur wenig Wind, 3-4 m/s und Wellen von unter 1,5 m. Das macht es einfach. Heute also nach Nordost, gegen den Wind, die Wellen von schräg vorne in Richtung 290°.

Jetzt ist es Zeit dem Schlitten vorzubereiten. Mein Kollege Andreas (er hat schon über den EBS geschrieben) ist jetzt auch im Labor. Wir ziehen unser Arbeitskleidung und Schuhe an. Wir montieren die Sensoren am Schlitten, die Netzbecher am Ende der Netze für den Fang der Tiere und prüfen ob noch alles in Ordnung ist.

Um 04:30 Uhr, etwas später als geplant, geht der EBS zu Wasser und ich wieder auf die Brücke.
Von dort überwache ich den Schlitten auf seinem Weg nach unten in die Tiefsee. Anhand von verschiedenen Parametern wie Schiffsgeschwindigkeit, Kabellänge, Position und Zuglast an der Winde bekomme ich genaue Informationen wo sich der Schlitten gerade aufhält. Ich kann genau verfolgen wann das Gerät am Meeresboden aufkommt, wie lange wir den Schlitten über den Boden ziehen und wann der EBS den Meeresboden wieder verlässt. Das alles dauert seine Zeit, die ich zumeist mit einem Kaffee vor den verschiedenen Monitoren und Schreibern verbringe. Andreas leistet mir Gesellschaft.

Langsam wird es heller. Irgendwann kann man den Horizont erkennen, der Morgen graut. Das Meer um uns herum ist ruhig. Der Sonnenaufgang ist nicht zu sehen, viel zu viele Wolken heute.

Am späten Vormittag ist der EBS dann wieder zurück an Deck. Wir nehmen dann die Proben aus den Netzen, bringen die Sensoren zurück ins Labor und sichern Daten wie Druck, Temperatur, Salzgehalt und Sauerstoff. Hinten im Nasslabor werden die Tiere sortiert, fotografiert, etikettiert und dokumentiert.

Ich schreibe dann noch die Einsatzprotokolle und Tippe erste Ergebnisse in die Datenbanken. Es wird Mittag, bis ich mit allem fertig bin.
In ca. 12 Stunden bin ich mit dem nächsten EBS Einsatz an der Reihe. Das wird dann wieder eine Nachtschicht.

 

Nils Brenke

geschrieben an Bord FS Sonne 53° 23,399′ N 162° 10,733′ W Nord Pazifik,
für meine liebe Familie, meine netten Nachbarn, meine lieben Freunde und natürlich für all die anderen freundlichen Leser.

Das Arbeitsdeck bei Nacht.  
Mein Labor bei Nacht.
EBS bei Nacht.
Die Brücke bei Nacht.
EBS nach dem Einsatz.