Leben am Tiefseegrund - „ eine kurze Geschichte über kleine Asselkrebse und andere Kreaturen“
Hallo vom anderen Ende der Welt! Mein Name ist Henry Knauber und ich bin Doktorand für Tiefseebiologie am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. Für meine Doktorarbeit untersuche ich inwiefern Faktoren wie Tiefe, Entfernung und große bathymetrische Barrieren – also zum Beispiel Tiefseegräben und -rücken – Einfluss auf die Entstehung neuer Arten nehmen, die den Tiefseeboden bevölkern.
Um dieser Frage nachzugehen, arbeite ich mit wenigen mm großen Asselkrebsen, auch Isopoda genannt. Obwohl Asselkrebse fast überall (auch außerhalb des Wassers in unseren Kellern und unter Totholz!) zu finden sind, leben sie vor allem in der Tiefsee und weisen dort einen enorme Diversität an Lebensweisen auf: einige wandern über den Meeresboden, während andere sich grabend fortbewegen oder gar schwimmen! Zudem gibt es viele hochspezialisierte Asselkrebse die als Parasiten an anderen Krebsen oder Fischen leben. Was alle Isopoden vereint ist die Tatsache, dass sie Brutpflege betreiben und ihren Nachwuchs in einer als Marsupium bezeichneten Bruttasche mit sich herumtragen – wie ein Känguru!
Um noch mehr über die wunderlichen Krabbler herauszufinden bin ich an Bord des FS „SONNE“ im Zuge der AleutBio-Expedition an Bord. Gemeinsam mit einem Team internationaler Wissenschaftler:innen untersuchen wir am Aleutengraben und im benachbarten Beringmeer – dem „Tor zur Arktis“ – die Biodiversität am Grund der Meere. Dazu kommt eine Vielzahl an verschiedenen Geräten zum Einsatz, die an Bord die kuriosesten Spitznamen tragen. Von Dingen wie MUC, OFOS, AGT und EBS ist da die Rede. Über Letzteres möchte ich ein wenig erzählen, denn der EBS – oder in verständlich der Epibenthosschlitten – ist ein riesiger, metallener Schlitten in Kastenform, der mit zwei sehr feinmaschigen Netzen ausgestattet ist und über den Tiefseeboden gezogen wird, um aufgewirbelte Sedimente und die darin befindlichen Kleinstlebewesen, die sogenannte Makrofauna, einzufangen. Während der EBS in der Tiefe seine Arbeit verrichtet, heißt das für die Besatzung des EBS-Teams Warten auf die Rückkehr unseres Schlittens an die Wasseroberfläche – einem Prozess, der bei hadalen Stationen jenseits der 6.000 Meter schon mal 10 Stunden in Anspruch nimmt. Kehrt der EBS intakt und mitsamt Proben an Deck zurück muss es schnell gehen! Das Sediment wird gesiebt und gefiltert um die darin befindlichen Tiere herauszusuchen und diese anschließend in Alkohol zu fixieren und kühl einzulagern um zukünftige molekulare Analysen zu ermöglichen.
Beim live sorting (Lebendsortierung ) nehmen wir uns einige der frisch aus dem Sediment gepickten Tiere heraus und setzen uns umgehend am Binokular daran diese taxonomisch zu bestimmen, damit wir einen initialen Eindruck davon bekommen, was an dieser Station am Meeresboden lebt. Hier gilt es allerlei zu entdecken! Von kleinen See- und Schlangensternen sowie Faden- und Borstenwürmern über Seeigel und Seegurken bis zu den verschiedensten Krebsen wie Floh-, Muschel-, Schlick- und selbstverständlich auch Asselkrebsen ist alles dabei! Das Leben an Bord eines Forschungsschiffes mag nicht immer leicht sein, wenn man zum Beispiel mitten in der Nacht aus dem Bett muss, um seine Proben zu bearbeiten, aber Lebewesen zu Gesicht zu bekommen, die viele Kilometer unter uns, in einer für den Menschen nahezu völlig unbekannten Welt leben, machen jegliche Strapazen wett und lassen das Wissenschaftlerherz höherschlagen!
Damit erstmal genug von mir – ich werde jetzt wieder ins Labor gehen und Sedimentproben nach Tieren durchsuchen!
Beste Grüße vom offenen Nordpazifik!
Henry Knauber